Leichte Lektüre statt schwerer Schwarten

An heißen Sommertagen gibt es oft nichts Besseres als ein Buch und ein Eis oder wahlweise einen Cocktail. Und wenn der Job, das Studium oder das Familienleben schon beschwerlich genug sind, eignet sich zum Abschalten am besten lockerflockig leichte Lektüre für zwischendurch. Wir zeigen euch, zu welchen Büchern ihr dazu greifen könnt.


: Meine erste Empfehlung für leichte Lektüre geht an die Märchen-Anthologie Es war einmal … ganz anders (Herausgeberinnen: Sylvia Rieß und Janna Ruth). Wer Märchen mag, wird die Anthologie lieben, denn hier werden bekannte und weniger bekannte Märchen zeitgenössisch reinterpretiert, und das auf originelle und herrlich gesellschaftskritische Art und Weise. Ich persönlich bin nicht ganz so märchenaffin, und trotzdem haben mich die Kurzgeschichten in ihren Bann gezogen. Sie sind allesamt eindrücklich und flüssig geschrieben, packend und dennoch leicht verdaulich. Durch die Kürze der Geschichten kann man sie ideal dosieren, entweder, man nimmt sich ein Stündchen Zeit für eine, oder man plant den ganzen Tag ein, wenn man nicht genug kriegen kann.
Das Wort schmeckte so zart auf ihrer Zunge. Wie Zucker, der gleich zerschmelzen würde.
Heim.
Janna Ruth, »Unter seinen Blicken« aus »Es war einmal … ganz anders«

♣: Leichte Lektüre. Dieser Begriff kann auf so viele verschiedene Arten ausgelegt werden. Ich denke dabei immer an Romane, die man auch mal im Urlaub am Strand lesen kann, ohne sich durch hunderte Seiten schleppender Geschichte schleppen zu müssen.  Ironischerweise verbinde ich viele Romane mit dem Sommer, die ich niemals als leichte Lektüre empfehlen könnte, darunter Romane wie Metro 2033 von Dmitry Glukhovsky oder Der Marsianer von Andy Weir, die vor Komplexität strotzen und kaum als reine Unterhaltungsromane durchgehen. Aber ein Buch, das definitiv in die Kategorie fällt und mich gleichzeitig begeistern konnte, ist Die Buchspringer von Mechthild Gläser. Passenderweise spielt es auch im Sommer und erzählt die Geschichte von Amy, die mit ihrer Mutter Urlaub auf einer Shetlandinsel macht, auf der ihre Familie wohnt. Dort erfährt sie von ihrer außergewöhnlichen Gabe: Sie ist eine Buchspringerin, kann also in Geschichten springen und die Szenen bildlich erleben. In diesem Roman wird Fantasy mit Krimi vermischt und bietet zudem ein großes Spektrum an literarischen Anspielungen, die aber keineswegs zu üppig und aufgetragen wirken – es ist ja letztendlich immer noch ein Jugendbuch. Wer ein phantastisches Buch für den Urlaub sucht, kann hier beherzt zugreifen. Denn dieses Buch bietet nicht nur eine schöne Geschichte, sondern lässt im Leser auch ein wohliges Glücksgefühl aufkommen.
Selbst wenn ich mich fürchtete und gruselte oder die schlimmste Katastrophe erlebte, beim Lesen blieb irgendwo stets dieses Warme-Wolldecke-auf-der-Couch-Gefühl.
Mechthild Gläser, »Die Buchspringer«

♠: Obwohl das jetzt seltsam klingen mag, fällt mir bei leichter Lektüre sofort ein Roman aus der klassischen Literatur ein. Ja, wirklich! Und zwar Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff. Der Taugenichts und ich trafen im Deutsch-LK das erste Mal aufeinander, als die Sonne durch die großen Fenster auf meinen Rücken und die Blätter fiel und sich eine herrliche Leichtigkeit einstellte. Natürlich ist die Sprache nicht zeitgemäß, aber sehr bildlich und die Fantasie anregender als bei vielen aktuellen Romanen. Einmal im Flow ist der Text haptisch, hörbar, ich kann ihn riechen. Es war eine der wenigen Lektüren meiner Schulphase, die ich sehr genossen habe. Das Parfum von Patrick Süskind fällt übrigens in dieselbe Kategorie, aber meiner Erfahrung nach kann man dieses Buch nur hassen oder lieben, darum empfehle ich lieber den Taugenichts. Ihr könnt ihn hier kostenlos lesen.
Das ist just das Schönste, wenn wir frühmorgens heraustreten, und die Zugvögel hoch über uns fortziehn, dass wir gar nicht wissen, welcher Schornstein heut für uns raucht, und gar nicht voraussehen, was uns bis zum Abend noch für ein besonderes Glück begegnen kann.
Joseph von Eichendorff, »Aus dem Leben eines Taugenichts«

: Lustigerweise ist mir meine erste Empfehlung sofort in den Sinn gekommen, als von leichter Lektüre die Rede war: Winter Oranges von Marie Sexton. Das Buch wartet mit einigen schweren Themen auf, denn einer der Protagonisten, Benjamin, fristet ein extrem isoliertes Dasein, und auch der zweite Protagonist Jason hat mit einigem zu kämpfen. Trotzdem liest sich der Roman sehr locker und hat mir ein positives Gefühl gegeben. Die Liebesgeschichte verzichtet auf viele Klischees, die Fans von LGBT-Literatur und Liebesromanen allzu bekannt sein werden (und zumindest mich gehörig nerven). Obwohl einer der Protagonisten aus einer anderen Zeit stammt, reagiert er vollkommen gefasst auf Jasons Sexualität und antwortet schlichtweg: »Ich auch.« Die Hauptfiguren starten ohne größere Schwierigkeiten eine Beziehung, sie tanzen nicht etwa seitenlang umeinander herum. Sie reden tatsächlich offen miteinander über ihre Gefühle und aufkommende Probleme, anstatt sie zu verschweigen, und es wird nicht krampfhaft versucht, Spannung durch Missverständnisse zu erzeugen. Allein deswegen bleibt mir der Roman trotz einiger Schwächen positiv in Erinnerung und eignet sich gut für Tage, an denen man etwas leichteres möchte. Eine kleine Vorwarnung: Es gibt einige erotische Szenen im Roman.
Ben laughed, and Jason was struck by what a bright sound it was—so full of joy and merriment, hearing it was like throwing back a curtain in a dark room and letting in the daylight.
Marie Sexton, »Winter Oranges«

: Bei der Auswahl meiner zweiten Empfehlung für leichte Lektüre musste ich länger überlegen, weil ich gemerkt habe, dass die meisten meiner gelesenen Bücher wohl nicht wirklich in diese Kategorie fallen. Schließlich habe ich mich für Paper Towns von John Green entschieden. Ich kann leider nicht sagen, dass ich an dem Roman nichts auszusetzen habe, weil ich generell mit den weiblichen Love Interests aus Greens Romanen nicht warm werde und das Ende nicht mochte. Dennoch war das Buch eine tolle Lektüre für zwischendurch, und John Green schafft es, auch ernstere Jugendthemen mit Leichtigkeit herüberzubringen. Vor allem die amüsanten Dialoge der jugendlichen Protagonisten lesen sich sehr erfrischend. Der Schreibstil ist einfach und alltagsnah und charakterisiert seine Figuren richtig gut, sodass Paper Towns als leichte Lektüre durchaus empfehlenswert ist.
»I'm not saying that everything is survivable. Just that everything except the last thing is.« 
John Green, »Paper Towns« 

♠: Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, was leichte Lektüre überhaupt sein soll. Literatur, die einfältig und stumpf ist? Definitiv nicht. Natürlich gibt es diese wabbeligen Heftchen mit Liebespaaren aus den Neunzigern (einer der beiden Liebenden hat eine Praxis, und es ist nie die Frau). Ich bin schließlich zu dem Schluss gekommen, dass leichte Lektüre etwas ist, das ich in fast jeder Situation lesen könnte und wollte. Ein Buch ohne zu komplizierte Sprache und philosophische Höhenflüge, das trotzdem anspruchsvoll ist und vor allem ein zweites Mal gelesen werden kann. Das ist bei Der Papiermagier von Charlie N. Holmberg der Fall. Darin basiert Magie nicht auf den vier klassischen Elementen Feuer-Wasser-Erde-Luft, sondern auf von Menschen geschaffenen Elementen wie Metall, Gummi oder ... Menschenfleisch. Wir begleiten Ceony Twill, die gegen ihren Willen Assistentin des Papiermagiers Emery Thane wird. (In Emery verliebt sich die Leserschaft übrigens sofort). Sie lernt, aus Papier Lebendiges zu erschaffen und kann sogar in die Zukunft lesen. Plot Twist: Die fiese Fleischmagierin-Ex von Emery schneit herein und reißt ihm das Herz aus der Brust. Und haut damit ab. Ja, so habe ich auch geguckt. Den Rest werde ich euch vorenthalten, denn einmal angefangen könnt ihr das Buch sowieso nicht niederlegen. Für gewöhnlich lese ich Bücher nicht innerhalb eines Tages, dieses Buch war das Erste, das dies seit meiner Volljährigkeit geschafft hat.
»I don’t know how many women can claim to have walked a man’s heart, but I’ve walked yours.«
Charlie N. Holmberg, »Der Papiermagier«

♣: Es gibt zwei Arten von Sommerbüchern: Diejenigen, die sich schwül, klebrig und zäh anfühlen, und diejenigen, die leicht, unbeschwert und wohltuend sind. Aber man will ja doch eine Geschichte, die ein gewisses Niveau halten kann und nicht völlig anspruchslos ist. Wie ♠ schon sagte, könnte man sonst auch direkt zu Arztromanen greifen, die man zuhauf in Kiosken findet. Bei leichter Lektüre ist mir vor allem der Wohlfühlfaktor wichtig, nicht die Komplexität. Und deswegen kann ich die Mercy Thompson-Reihe von Patricia Briggs absolut empfehlen. Es geht um eine toughe Frau, die nicht auf den Mund gefallen und zugleich eine Walkerin ist. Sie kann sich in einen Kojoten verwandeln und lebt in einer Welt voller Werwölfe, Vampire, Hexen und anderer Geschöpfe. Bevor ihr jetzt aber gedanklich abschaltet – immerhin haben die meisten von uns ihre Vampir-Phase bereits hinter sich gelassen – kann ich euch versprechen, dass diese Reihe anders ist. Nicht kitschige Romantik steht im Vordergrund, sondern Action, Humor und ein krimiartiger Plot. Und es wird einfach nie langweilig. Stattdessen fühlt man sich wie bei einer guten Serie, bei der man die Charaktere immer besser kennen und lieben lernt.
»Tanze, wenn der Mond scheint, und weine nicht über Probleme, die dir noch bevorstehen.«
Patricia Briggs, »Ruf des Mondes«

: Bei meiner zweiten Empfehlung ist es mir fast schon peinlich, dass sie mir nicht sofort eingefallen ist: Dealing with Dragons von Patricia C. Wrede. Das Buch hat mich vom ersten Satz an gefesselt, denn es liest sich ausgesprochen unbeschwert und – ich kann es nicht besser ausdrücken – macht einfach Spaß. Die Geschichte folgt der jungen Prinzessin Cimorene, die mit den Heiratsplänen ihrer Eltern ganz und gar nicht einverstanden ist und Zuflucht bei den Drachen sucht. Die Drachendame Kazul nimmt sie als ihre ganz persönliche »gefangene Prinzessin« bei sich auf. Zwischen den beiden entwickelt sich bald eine von Respekt und Vertrauen geprägte Freundschaft und sie untersützen und helfen sich gegenseitig. Praktisch sämtliche Märchenklischees werden auf den Kopf gestellt, von Rittern, die verdutzt von dannen ziehen, da diese Prinzessin nun einmal nicht gerettet werden möchte, bis hin zu hilfreichen Hexen und zwielichtigen Zauberern. Insgesamt ein wirklich schönes Buch mit einer positiven Botschaft und herrlich trockenem Humor, das ich sehr gerne gelesen habe und bestimmt noch öfter herauskramen werde.
»We‘ll see how well you do on the treasure room first,« Kazul said. »The rest of your job I‘ll explain as we go along. You don‘t object to learning a little magic, do you?«
»Not at all,« said Cimorene.
Patricia C. Wrede, »Dealing with Dragons«

Mit diesen Tipps entlassen wir euch offiziell in den Sommer und denkt daran: Wasser tut dem Menschen gut, das Büchelein will trocken sein!
Demnächst beginnen wir mit der Besprechung von Glennkill. Die Protagonisten sind auf jeden Fall locker-flauschig. Wir werden sehen, ob der Roman dieses Kriterium ebenfalls erfüllt.

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