Der Ozean am Ende der Straße: Was Autoren von Neil Gaiman lernen können

Vieles zum Buch haben wir schon besprochen, und vermutlich hätten wir ewig so weitermachen können. Doch irgendwann neigt sich alles zum Ende zu - so auch unsere Buchbesprechung. In diesem letzten Teil fassen wir zusammen, was bei uns am meisten Eindruck hinterlassen hat, und was wir als Leserinnen und Autorinnen im Gedächtnis behalten werden.


Das Lieblingszitat von  aus Der Ozean am Ende der Straße:
»Ein Mensch zu sein ist keine Prüfung.«
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Wollen wir langsam zum Ende kommen? Für mich fühlt es sich nicht so an, als hätten wir schon alles besprochen, was es zu besprechen gibt, eben weil das Buch so … offen ist. Habt ihr noch brennende Fragen?

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Da sagst du was, für mich fühlt es sich auch irgendwie unfertig an, und ich bin mir sicher, dass ich noch oft an das Buch zurückdenken werde und mir neue Interpretationen und Fragen dazu einfallen. Aber aktuell habe ich auch keine drängende Frage mehr.

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Ja, dieses unfertige Gefühl habe ich auch. Ich interpretiere das fast ein wenig so, dass das Leben eben auch nach dem Tod weitergeht - immerhin geht es hier ja auch um eine Beerdigung - und dass man sich aber noch lange immer wieder der Toten entsinnt und sie nicht einfach vergisst.

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Ja, das sehe ich auch so. Eigentlich kein Wunder, dass der Roman so durchwachsene Kritiken bekommen hat. Er ist echt nicht für jeden Geschmack etwas. Vielleicht sollte man auch schon vorher etwas von Gaiman gelesen haben, oder zumindest wissen, was für eine Art Autor er ist.

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Mir geht es da im Grunde genau so. Das Buch liest sich, als wären unter der Oberfläche noch zig weitere Botschaften versteckt, als gäbe es nahezu unendlich viele Interpretationsmöglichkeiten. Das mag am Studium liegen, aber ich würde den Roman gerne ein zweites, vielleicht sogar drittes oder viertes Mal lesen, und unsere vielen Interpretationsansätze weiter verfolgen.
Das wäre auch etwas, das ich aus diesem Buch mitnehme: Wie schreibe ich eine Geschichte, die scheinbar tausend Schichten hat?

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Ja, auf mehr als einer Ebene zu schreiben, gelingt Gaiman wirklich gut und ich finde das auch eine beeindruckende Leistung des Autors. Mir geht es da ganz genauso. Auch die Art wie er seine Lehren immer in kleine Botschaften verpackt, die gleichzeitig bildlich sind, aber auch so voller Gehalt, werde ich langfristig im Kopf behalten. Dadurch erreicht er den Leser sehr eingängig.

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Dazu muss ich sagen, dass der Ozean tatsächlich mein erstes Buch von Gaiman war. Aber da habe ich noch einiges nachzuholen! Es hat mich auf jeden Fall überzeugt und neugierig auf seine anderen Werke gemacht.

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Meins auch. Ich hatte ihn vorher gar nicht auf dem Schirm, aber er schreibt wirklich gut.

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Was ich auch sehr schön fand und sowieso seit langem noch mehr in meine Geschichten einbauen möchte, sind die vielen weiblichen Charaktere. Es mag daran liegen, dass Die Unendliche Geschichte eher männlich besetzt war, aber ich fand es sehr erfrischend und angenehm, so viele Frauen- und Mädchencharaktere zu haben, die auch tatsächlich den Plot vorantreiben und die Retterinnen sein durften.

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Vor allem starke Frauencharaktere. Die Männer sind hier ja vergleichsweise wirklich passiv und das ist dann doch mal etwas Besonderes. Aktive, starke weibliche Figuren in Romanen - das ist definitiv ein guter Vorsatz für die eigenen Geschichten.

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Die gute Repräsentation von selbstständigen Frauen fand ich auch erfrischend, wobei der Vorsatz, selbst mehr davon zu schreiben, bei mir kein neuer ist. Gaiman zeigt aber auf jeden Fall sehr gut, wie man diese darstellen kann.

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Ich habe vor allem gelernt, dass auch unkonventionelle Geschichten eine Daseinsberechtigung haben. Mir wurde der Roman von Betalesern empfohlen, die Parallelen zu einem meiner Projekte sahen. Darum war es vielleicht etwas eigennützig von mir, ihn vorzuschlagen (und umso erleichterter bin ich, dass er euch gefallen hat). Ich glaube, meine Gedanken zum Buch sind mit der heutigen Besprechung längst nicht abgeschlossen.

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Ab und zu unkonventionelle Geschichten zu lesen ist aus meiner Sicht für jeden Schreiberling Pflicht (und Abwechslung schadet aus Lesersicht auch nicht), diese hier hat mich auch wieder sehr inspiriert. Die subtile Tiefgründigkeit habe ich ja schon bei der Unendlichen Geschichte bewundert, und auch von Gaiman konnte ich wieder lernen, wie man eine Geschichte mit so vielen Botschaften und Interpretationen lesergerecht verpackt. Clever fand ich auch, wie die phantastischen Elemente mit diesen Botschaften verwebt wurden, sodass sie einen tieferen Sinn mit sich gebracht haben.

♣:
Ich denke, das Besondere am Roman ist eben, dass man ihn zunächst für gewöhnlich hält, wenn man ihn dann aber liest und sich damit beschäftigt, kommt eine Goldschicht ans Licht. Und so etwas können gerade eben Geschichten, die nicht schon von Anfang an ihre Intention verraten. Dieser Roman ist definitiv mehr als reine Unterhaltungslektüre.

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Ich finde es auch sehr schön, dass der Roman als reine Unterhaltungslektüre gelesen werden kann. Ich selber habe zwar die ganze Zeit nach Themen und tieferen Bedeutungen Ausschau gehalten, aber auch wenn man das weglässt, weiß das Buch bestimmt trotzdem zu unterhalten.

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Was ich mir als Studentin auf jeden Fall noch mitnehme, ist die Tatsache, dass dieser Roman als Gegenstand wirklich auf zahlreichen Ebenen interessant für die Literaturwissenschaft sein kann. Allein bei der Helden/Protagonisten-Diskussion kam ja ganz schön viel Gesprächsstoff auf.

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Absolut! Mich juckt’s praktisch in den Fingern, eine Hausarbeit dazu zu schreiben.

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Nicht nur dich!

Leserfazit :
Das Buch hat mir eine erfrischende Leseerfahrung auf vielen Ebenen beschert. Im Rückblick bin ich sehr froh über unsere bisherige Buchauswahl, weil ich dank Romanen wie diesem und der Unendlichen Geschichte weg von meinen Lesegewohnheiten komme - und dafür mit einer tiefgründigen Geschichte belohnt wurde, in der es viel zu entdecken gibt. Als leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur verpackt, schafft Gaiman es, uns in eine symbolträchtige und manchmal etwas unheimliche Welt mit starken Figuren zu entführen. Von solchen Büchern will ich mehr sehen!

Leserfazit :
Der Ozean am Ende der Straße – bei einem solch mystischen Titel konnte ich mir kaum ein Bild vom Inhalt des Buchs machen, denn auch der Klappentext verrät im Grunde nichts. Was am Ende herauskam war ein wirklich ungewöhnlicher Roman, der mich aber überzeugen konnte. Die Charaktere gefielen mir außerordentlich gut, besonders Lettie und Gramma werden mir im Gedächtnis bleiben, und ich fand es auch erfrischend, einen eher passiven Protagonisten zu haben. Beim Lesen habe ich gefühlt das halbe Buch markiert, weil mir viele Stellen unglaublich wichtig vorkamen. Wie bereits in unserer Diskussion gesagt: Das ist ein Roman, zu dem ich gerne einen Aufsatz schreiben würde, da sich bei der Menge an Motiven garantiert einiges erforschen ließe.

Leserfazit ♣:
Mir ging es bei der Buchauswahl wie . Neil Gaiman war mir zwar durch American Gods ein Begriff, aber von Der Ozean am Ende der Straße hatte ich zuvor nichts gehört und auch kein Buch des Autors gelesen. Umso mehr konnte er mich mit dieser Erzählung positiv überraschen. Ich muss zwar zugeben, dass ich im Nachhinein nicht unbedingt sagen kann, dass das Buch mich gut unterhalten hat, dafür ist es mir einfach zu abstrakt und distanziert, aber es ist trotzdem ein Buch, das sich zu lesen lohnt. Es gibt viele Botschaften, von denen manche sofort erkennbar sind, während andere einem erst bewusstwerden, wenn man die Geschichte nicht wortwörtlich sieht, sondern intensiv darüber nachdenkt. Und genau dieses Nachdenken macht die Geschichte so lohnenswert, denn sie wirkt gleichzeitig wie eine Fantasygeschichte, aber auch wie eine Metapher und am Ende muss sich der Leser selbst überlegen, was er davon halten soll.

Leserfazit ♠:
Der Roman ist auf meiner Wunschliste für diesen Blog gelandet, weil ich ihn schon ewig lesen wollte. Denn tatsächlich habe ich ein Projekt, mit dem es von Freunden immer wieder verglichen wurde. Ich wollte also wissen: Wie ähnlich ist es wirklich? Denn ich habe lange mit Verlags- und Agenturbewerbungen gekämpft (oder kämpfe noch), bei denen als Feedback meistens kam, mein Roman sei zu speziell. Und ja, Der Ozean am Ende der Straße ist ebenfalls sehr speziell. Ob mich das beruhigt? Keine Ahnung. Aber wenn ich eine Sache aus dieser Leserunde mitnehme, dann dass es auch heimelige, abstrakte Ideen auf die Nachttische schaffen können. Und in unsere Albträume.
(Übrigens dachte ich beim Lesen ständig an die Tiffany-Weh-Romane von Terry Pratchett, wem der Ozean also gefallen hat: Klare Empfehlung).

Damit endet unsere zweite Buchbesprechung. Habt ihr den Ozean am Ende der Straße selbst gelesen, und wenn ja, wie habt ihr die angesprochenen Elemente interpretiert? Ähnlich wie wir oder gar ganz anders? Hat unsere Diskussion euch angeregt, den Roman zu lesen oder mal zu unkonventionelleren Romanen zu greifen? Wir sind gespannt auf eure Meinung!
In den nächsten Wochen geht es beim Blattquartett mit der Buchbesprechung zu Glennkill von Leonie Swann weiter!

Falls ihr die anderen Teile dieser Buchbesprechung noch nicht gelesen habt:
Teil 01: Inhalt/Vater und Verdrängung (02.06.2018)
Teil 02: Charaktere (09.06.2018)
Teil 03: Sprache (16.06.2018)
Teil 04: Was Autoren von Neil Gaiman lernen können/Fazit (23.06.2018)

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